Marcel Dupre
Marcel Jean Jules Dupré, den sein Schüler Olivier Messiaen einmal als „Franz Liszt der Orgel“ bezeichnete, wurde am 3. Mai 1886 im nordfranzösischen Rouen geboren.
Marcel Dupré am Spieltisch der großen Cavaillé-Coll-Orgel in St. Sulpice
Marcel wuchs in einem Tempel der Musik auf: Vater Albert Dupré, Schüler von Felix-Alexandre Guilmant, war ein ausgezeichneter Organist und Chorleiter, Mutter Alice Cellistin und Pianistin. Auch der Großvater und eine Tante, die mit den Duprés das Haus teilten, waren hauptberufliche Musiker.
So war Marcel Dupré seit frühester Kindheit in das musikalische Geschehen in Rouen eingebunden. Vater Albert dirigierte seinen Chor in einem großen Musikzimmer im eigenen Haus. Als 1896 das Musikzimmer eine Orgel erhielt, wurde dieses Instrument für den jungen Marcel das Zentrum einer obsessiven Faszination und bestimmte mit den Verlauf seiner künftigen Karierre.
Die große Cavaillé-Coll Orgel von 1862 in St. Sulpice (102 Register)
Seine Ausbildung erhielt er zunächst vom Vater, dann von Felix-Alexandre Guilmant, der wie der Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll ein guter Freund der Familie war. Früh zeigte sich die Begabung für eine konzentrierte Arbeitsweise und das Talent eines außerordentlich befähigten Virtuosen.
Bereits mit 11 Jahren wurde Marcel zum Organisten der Kirche Saint-Vivien in Rouen berufen. Als das Musikzimmer 1901 abermals erweitert wurde, spielte Marcel als Fünfzehnjähriger eine eigens zu diesem Zwecke komponierte Kantate auf der Hausorgel.
Im darauf folgenden Jahr wurde er am Pariser Conservatorium aufgenommen, welches er mit drei ersten Preisen für Klavier (1905), Orgel und Improvisation (1907) und Fuge ( (1909) abschließen sollte. Sein Lehrer Charles-Marie Widor, zu dessen Schülern auch Albert Schweitzer gehörte, machte den Zwanzigjährigen zu seinem Assistenten in St. Sulpice. Dem Einfluß von Widor ist es zu verdanken, daß Dupré nicht die Laufbahn eines Konzertpianisten einschlägt.
St. Sulpice
1912 gab er im Salle Gaveau sein offizielles Paris-Debut, 1914 gewann er mit seiner Kantate Psyché den begehrten Rompreis für Komposition.
Im Oktober des Jahres 1916 reist Louis Vierne, Organist an Notre Dame in Paris, nach Lausanne, um dort seine Augen behandeln zu lassen. Vierne bittet Dupré, für 5 Monate die Vertetung an seiner Orgel zu übernehmen. Aus den 5 Monaten werden für Dupré 4 Jahre als Vertreter von Vierne in Notre Dame.
Nach einer Reihe von Konzerten in Paris, in denen Dupré das gesamte Orgelwerk Johann Sebastian Bachs aus dem Gedächtnis spielte, wurde er vom Publikum oft als musikalisches Wunder bezeichnet. Nach dem ersten Weltkrieg konnte er sich rasch einen Namen als überragender Organist und Orgelimprovisator machen. Alleine 11 Konzertreisen führten ihn in die USA, zuletzt im Jahr 1962.
Ein Jahr nach seiner Heirat mit Jeanne Pascouau erwerben die Duprés 1925 im Pariser Vorort Meudon in unmittelbarer Nähe zu Guilmants Anwesen ein Haus und stellen eine Orgel auf, die aus dessen Besitz stammt. Bald kommen Schüler aus aller Welt hierher, um sich von Marcel Dupré unterrichten zu lassen.
Hausorgel in Meudon (Cavaillé-Coll). Sie übersteht wie durch ein Wunder einen Luftangriff am 3. März 1942 unbeschadet
Ein Jahr später, 1926, wird Dupré Professor für Orgel am Conservatoire Paris, wo er über drei Jahrzehnte ganze Generationen von französischen Organisten ausbildete. Unter seinen Schülern sind herausragende Musiker von Weltrang wie Olivier Messiaen, Jean Langlais, Jeanne Demessieux, die Geschwister Jehan Ariste und Marie-Claire Alain oder Jean Guillou.
Seit Mitte der zwanziger Jahre konzentriert sich das Schaffen Duprés überwiegend auf die Orgel.
Im hohen Alter von 89 Jahren gibt Widor 1934 sein Organistenamt nach 64 Jahren Dienst auf. Dupré, 28 Jahre lang Assistent, wird daraufhin Titularorganist an der großen Cavaillé-Coll-Orgel von St. Sulpice und behält diese Stellung bis zu seinem Lebensende.
St. Sulpice bleibt das Zentrum des Schaffens von Dupré, dessen Orgelimprovisationen sonntags Scharen von Musikliebhabern in diese Kirche pilgern lassen.
Neben seinen Pflichten als Organist, Lehrer und Herausgeber von Orgelmusik und zahlreichen Lehrbüchern ist Dupré ein gefeierter Konzertorganist, der in seinem langen Leben weit mehr als 2000 Konzerten in aller Welt gespielt hat.
Zur Komposition „Der Kreuzweg“ schreibt Dupré in seinen Erinnerungen:
"Außer in Frankreich, das ich in allen Richtungen durchreist habe, gab ich zahlreiche Konzerte in anderen europäischen Ländern: in Deutschland, Österreich, der Schweiz, In Italien, Spanien, Holland und Belgien; und in Brüssel wurde die Idee zu einem meiner Hauptwerke geboren, zum Chemin de la Croix.
Ein Konzert besonderer Art war im dortigen Konservatorium veranstaltet worden; sein zweiter Teil umfaßte nach einem kurzen Bach-Vortrag auf der schönen Cavaillé-Coll-Orgel den Chemin de la Croix von Paul Claudel; er wurde von Madame Renaud-Thévent, Lehrerin am Konservatorium, gelesen, während ich nach jeder Station eine musikalische Ausdeutung improvisierte. Das war in der Fastenzeit, am 13. Februar 1931".
Die Begeisterung für das Konzert von seiten des Publikums veranlasste Dupré, die Improvisationen nachträglich aus dem Gedächtnis aufzuschreiben. Ein Jahr später wurde der Kreuzweg in Paris uraufgeführt.
Dupré 1948 mit seinen Schülern
Obwohl er für seine Kantate Psyché den Rompreis erhalten hatte, standen Duprés Qualitäten als Komponist lange im Schatten seiner gefeierten Fähigkeiten als Orgelvirtuose. Möglicherweise hat die scheinbare Mühelosigkeit, mit der er Toccaten, Doppelfugen und sogar mehrteilige sinfonische Formen zu improvisieren vermochte, zunächst von seinem kompositorischen Wirken abgelenkt.
Es war stets das Bestreben von Marcel Dupré, die Orgel als vollwertiges, konzertantes Instrument zu Gehör zu bringen und die Musik für Konzerte von der Musik zu trennen, die im Gottesdienst Verwendung findet. Die Symphonie-Passion, die Variations sur un vieux Noel oder auch der Chemin de la Croix geben indes ein deutliches Zeugnis seiner religiösen Überzeugung.
Er erhält zahlreiche Auszeichnungen, Ehrungen und Preise, darunter Ehrendoktor-Würden des Baldwin-Wallace-Konservatoriums und der Päpstlichen Universität Gregoriana.
Marcel Dupré stirbt am 30. Mai, Pfingstsonntag, des Jahres 1971 in seinem Haus in Meudon, nachdem er bereits zwei Messen in St. Sulpice gespielt hat.